Donnerstag, 15. November 2012

Spießer auf dem höchsten Niveau

Buch ist hier zu kaufen.
Es geht um das Buch der berühmt-berüchtigten Frau des Ex-Bundespräsidenten Christian Wulffs, welches am 12. September erschienen ist und in der Öffentlichkeit hohe Wellen geschlagen hat. "Jenseits des Protokolls" wurde von den Lesern und Nichtlesern so heftig diskutiert, dass ich dieses Meisterwerk auch lesen wollte, um meine eigene Meinung dazu zu haben. Gesagt, getan. Und nun mein Verdikt:

Gesamteindruck

Leider hat die Mehrheit der Kritiker recht: das Buch ist literarisch und inhaltlich sehr schwach. Irgendwie armselig. Schlechter Stil, armer Wortschatz, wenig Inhalt...
Schon ab den ersten Drittel des Buches konnte ich mich vom Eindruck nicht mehr lösen: Bettina Wulff ist eine unglaubliche Spießerin. Wenn man die Definition zum Wort "Spießer" nachschlägt, dann findet man genau die Eigenschaften, die das Buch auf 224 Seiten illustriert:
"Als Spießbürger oder Spießer werden in abwertender Weise engstirnige Personen bezeichnet, die sich durch geistige Unbeweglichkeit, ausgeprägte Konformität mit gesellschaftlichen Normen, Abneigung gegen Veränderungen der gewohnten Lebensumgebung auszeichnen."
Damit erklärt sich, dass die höchsten Werte von BW ihre eigene Gemütlichkeit und Ruhe sind, deren Verlust sie die ganze Zeit bejammert. Und auch deswegen war sie offensichtlich des Amtes der "First Lady" nicht gewachsen, weil unfähig über ihre private Interessen hinweg zu sehen...
Wohl auch durch den spießbürgerlichen Gemütszustand kommt die absolute Humorlosigkeit der Frau zu Tage. Hätte sie ihr Buch "Plötzlich Bundespräsidentengattin" genannt und genau dasselbe mit Humor geschrieben, hätte man ihr auch das Gejammer verziehen. Weil so hätte das Buch zumindest einen Unterhaltungswert, im Gegensatz zum jetzigen nörgeligen und nur noch langweiligen Inhalt.

Ansprüche und Glaubwürdigkeit

Unfähigkeit zum Schreiben belegt Frau BW damit, dass sie keine Diplomarbeit verfasst hat. Ich konnte aber ihre Entrüstung gar nicht nachvollziehen, dass man über ihren nicht vorhandenen Abschluß geschrieben/berichtet hat. Noch weniger kann ich ihren Schrei "ICH BIN SCHEINFREI, HABE ABER KEINEN ABSCHLUSS" verstehen oder begrüßen. Ist es etwa ein großer Verdienst oder was? Ich habe z.B. Abschlüsse an zwei Unis geschafft (und bin immer noch keine Bunespräsidentengattin... Ich habe eindeutig falsche Priotäten im Leben gewählt. Naja, egal.). Selbst wenn sie selbst nicht gut schreiben kann, war es definitiv keine gute Idee, die erstbeste Journalistin für die Zusammenarbeit anzuheuern, die sie angesprochen hat.
Was ich ihr glaube, dass sie keine Rotlichtmillieumitarbeiterin war. Das alles aus dem Grund, weil sie so spießig drauf ist. Das passt einfach nicht. Aber nichtdestoweniger zeigt sie uns ein eher weniger pädagogisch wertvolles Verhalten, was die Beziehungen mit verheirateten Männern angeht.
Sonstige Begründungen und Erklärungenfand ich aber nicht überzeugend und oft vom Niveau eines Kindes oder Teenagers. Z.B. ihre Reaktionen oder Gedanken wie sie mit unliebsam gewordene journalisten etc. umgehen würde. Als Erwachsener und halbwegs vernünftiger Mensch sagt man nicht in der Öffentlichkeit, dass man einen hauen würde. Das zeigt nur, dass der Sprecher nicht im Stande ist, sich verbal zu wehren, weil er nicht reif und intelligent genug ist. So was ist okay zu therapeutischen Zwecken der Aggresionsabbau zu schreiben und sofort zu verbrennen.
Das einzige relativ gesehen gute Kapitel war über Charity. Wobei auch hier konnte man sehen, dass BW das nur deswegen gemacht hat, weil es dazu gehörte. Sie musste "aufpassen um nicht überall eingespannt zu werden".
Was mich irgendwie gestört hat, war der ständige Appell an Kinder bzw. ständiges Hervorheben von Kindern und deren angeblichen Fragen und Sorgen in Bezug auf die Geschehnisse. Klang unglaubwürdig und unnatürlich.

Typisch Deutsch

Da spricht in mir mein Hintergrund :)). Aber ich habe eindeutig andere Vorstellungen davon, wie eine Familie z.B. funktioniert. Und das was Frau Wullf beschreibt, ist für mich "typisch deutsch", wenn man diesen Ausdruck böse meint.
So schreibt sie, dass ihr Mann ihr auf ihr Konto jeden Monat Geld überwies, so viel, wie sie bei Rossmann verdienen würde. Ich dachte, eine Familie führt ein gemeinsames Konto, und wenn die Frau gerade nicht arbeiten kann bzw. in die Familienkasse nicht so viel bringen kann, ist auch kein großes Problem, wenn das Geld ausreicht. Wäre das der Fall, es gäbe überhaupt kein Problem. Außerdem weiß ich nicht, ob BW bei Rossmann viel oder wenig verdient hat... Eher nicht so viel wegen der Teilzeitarbeit. War das knausrig von Christian Wullf? Ich weiß es nicht, aber den Gedanken kann ich nicht ausschließen.
Ich denke, dass die Institution der "First Lady", so wie sie in den 50-60ern entstanden ist, sich mehr oder weniger auf das Familienmodell "der Mann bringt Geld und die Frau verwaltet es" richtet. Ist schon irgendwie klar, dass "First Lady" keinen Gehalt bekommt, aber so wie BW darüber schreibt:
Von einer 40-Stunden-Woche konnte ich nur träumen, haufenweise fallen Überstunden aufgrund von Abendterminen und Dienstreisen an. Daher ist es fast ein Hohn zu erwähnen, dass diese Arbeit wie selbstverständlich vom Bundespräsidialamt vorausgesetzt, aber nicht vergütet wird.
Also, ist klar, dass sie für den Posten die falsche Person war, und außer Spießerin noch ziemlich "a material girl" ist.

Auf der positiven Seite

Das Buch hat mich zur Überlegung gebracht: was ist, wenn der Bundespräsident keine Frauen an seiner Seite hat, die First-Lady-Amt übernehmen könnten? Wenn er schwul wäre, dann gäbe es einen "First-Gentleman"? Klingt iwie doof, und dass er dann die Kaffekränzchen mit den anderen First-Tanten abhalten sollte, ist noch doofer. Oder wäre der BP ein Single, Vollwaise und überhaupt ohne weibliche Verwandtschaft, wer sollte dann die First Lady spielen? Würde dann jemand dafür engagiert? Aber dann ware es ungerecht und einfach unmöglich, eine Person Vollzeit zu beschäftigen und nicht bezahlen, da diese Person auf BP-Gehalt nicht zählen könnte. Eine Möglichkeit wäre, diese Position ganz zu streichen, oder doch bezahlen...
Da habe ich schon eine Vision ener Komödie (mit dem Titel "Plötzlich First Lady"). Man hätte eine Kandidatin angeblich für eine Reality-Show durch Casting gewählt, aber zuerst mit keinem Wort erwähnt, welche Aufgaben sie tatsächlich bekommt. Sie sollte etwas repräsentieren, und alle Kandidatinnen denken, es geht um einen Sekretärinnenjob bei einem großen Boss.Dann wird die Auserwählte nach Berlin verfrachtet, kurz gebrieft, gestylt etc. und sofort zum Einsatz geschickt. Da gäbe es definitiv eine Unmenge Situationen, wo sich frischgebackene First Lady blamieren könnte. Am Ende muss alles gut sein - ein Happy End wie es sich gehört.

Literarisches

Stilistisch hat das Buch sehr wenig zu bieten. Schieben wir mal die ganze Schuld auf Frau Maibaum. Bettina Wullf kann ja nicht schreiben, das hat sie gut bewiesen. Aber Maibaum hat doch Erfahrungen mit dem Schreiben, also sollte sie sich auch etwas anspruchsvoller ausdrücken können.
Die ersten Kapitel sind irgendwo zwischen Bravo-Berichten "Mein erstes Mal" und Liebesgeschichten aus "Bild der Frau" stilistisch angesiedelt. Weitere Kapitel unterscheiden sich nur gering von dem erwähnten.
Dazu kommt es noch, dass auch der Inhalt uns mit keinem bisschen Wissen bereichert über all die bedeutenden Persönlichkeiten, die BW live kennenlernen durfte. Ich glaube, sie wollte nichts schreiben, was die betroffenen möglicherweise nicht billigen könnten, und aus dieser Vorsicht kam tatsächlich ein absolutes NICHTS. Sie schreibt einige Seiten über Angela Merkel und Michelle Obama, aber nichts konkretes. Also das ganze könnte man ruhig in zwei-drei Sätzen berichten. Auf der anderen Seite, wenn sie doch etwas zu Frau Merkel sagt, dann benutzt sie komische und unpassende Anglizismen:
Angela Merkel ist für mich eine wahnsinnig beeindruckende, straighte Frau. Ich finde, sie strahlt so eine ganz eigene Coolness aus, die ich an ihr bewundere.
"straighte Frau" mit "Coolness", hä? Was wollte sie damit sagen? Ich bin iwie nicht so ganz up-to-date mit dem Slang der Jugendlichen...

Also...

Wenn man sich etwas inhalts- und lehrreiches mit dem Unterhaltungsfaktor lesen will, dann ist dieses Buch eindeutig nicht zu empfehlen. Aber wenn man sich für das Thema interessiert, dann wohl schon. :) Muss man bloss nicht vergessen, dass ein hoher und ehrenhafter Posten nicht vor Spießigkeit schützt, eher im Gegenteil.